Maßstab: Urteile, Erwartungen und die Blindheit des Vorurteils

Zwei kleine Spielfiguren auf einer Wippe, eine hält einen Würfel mit einem Pluszeichen, eine einen Würfel mit einem Minuszeichen in den Händen. Sie scheinen Mühe z haben, die Wippe im Gleichgewicht zu halten.
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Schillers „Lied von der Glocke“ galt über anderthalb Jahrhunderte als Pflichtlektüre in den Schulen. Teils wurde es auch genutzt, durch Auswendiglernen das Gedächtnis zu schulen. Es gab seit dem Bruch mit mancher Tradition nach dem Nationalsozialismus viele laute Stimmen , die meinten, das sei ein alter Zopf, nicht zeitgemäß, diene eigentlich keinem nachvollziehbaren Zweck und hinterlasse höchstens Spuren des Unmuts. Im Gedächtnis.

Das wäre vielleicht auch heute noch so: Die Sprache entstammt dem späten 18. Jahrhundert. Es gibt eine Reihe Stellen im Text, die Frauen in die traditionelle Ecke der vor-emanzipatorischen Zeiten weisen. „Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau…“

Man kann das Schiller kaum übel nehmen, er war nunmal Kind seiner Zeit.

Aber Werte und Maßstäbe sind Grundgerüst unseres Urteilens.

Das ist im ersten Schritt recht einfach zu verstehen:

Wenn wir eine bestimmte Vorstellung davon haben, wie etwas sein sollte und dieses Etwas – oder Jemand – weicht davon ab, ordnen wir das in die Kategorie „schlecht“ oder „ungenügend“ ein.

Allerdings lohnt es sich ab einem bestimmten, ausreichend reifen Alter, die eigenen Maßstäbe zu überprüfen. Nicht an einem hehren Ideal, das irgendwo im Himmel verortet sein könnte.

Sondern an den menschlichen Möglichkeiten und Gegebenheiten. Das kann schwierig scheinen.

Leichter wird es so:

    • Das Leben ist kein Selbstbedienungsladen und oft auch kein Spaziergang.
    • Im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten sein Bestes zu tun, auf das Ziel hin gedacht: Das kann man als Maßstab, als Ausgangspunkt nutzen.
    • Danach gilt: „in dubio pro reo.“ – „Im Zweifel für den Angeklagten.“ Der lateinische Rechtsgrundsatz, der auch vor Gericht angewendet wird.

Was ist aber denn das Ziel? Oder die Ziele?
Im Wesentlichen gibt es zwei verschiedene:

    • Die Gemeinschaft achten und schützen.
    • Die eigene Person achten und schützen.

Das drückt sich aus in dem christlichen Grundsatz. „Liebe deinen Nächsten – wie dich selbst.“

Das buddhistische „Leiden vermeiden“ ist ein guter Grundsatz.

Kants kategorischer Imperativ: „Handle stets so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit zum allgemeinen Gesetz erklärt werden könnte.“ (Gedächtniszitat)

Das sind die drei wesentlichen Grundsätze, die wir nutzen können, um auf einer soliden Basis die eigenen und andere Handlungen zu beurteilen.

Dazu sollte Nachsicht kommen, Gnade: Denn, Menschen sind nicht unfehlbar, von Natur aus nicht. Wir alle müssen manchmal Nachsicht üben, wie alle brauchen sie manchmal.